Unter dem Syndrom der umschriebenen Lese- und Rechtschreibschwäche sind nach dem speziell für die kinderpsychiatrische Forschung entwickelten Multiaxialen Klassifikationsschema Störungen zu verstehen "deren Hauptmerkmal eine ausgeprägte Beeinträchtigung der Entwicklung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit ist, die nicht durch eine allgemeine intellektuelle Behinderung oder inadäquate schulische Betreuung erklärt werden kann"(Remschmidt und Schmidt 1986). Remschmidt (1987) ordnet die Lese- und Rechtschreibschwäche den Teilleistungsschwächen zu, wobei nach Graichen (1979) eine Teilleistungsstörung besteht bei Ausfällen sehr unterschiedlicher Funktionen, die aus dem übrigen Leistungsniveau eines Kindes herausfallen.
LRS ist also eine Leistungsstörung, welche im Rahmen des konventionellen Lese- und Rechtschreibunterrichts zu einer Stagnation des Lernprozesses führt, während in anderen Leistungsbereichen primär dem Intelligenzniveau des Kindes entsprechende Leistungen erzielt werden. Im englischsprachigen Raum wird von der developmental dyslexia gesprochen.
Die Entwicklungsdyslexie und -dysgraphie meint eine schwere Störung des Schriftspracherwerbs unabhängig von intellektuellen, kulturellen und emotionalen Verursachungsfaktoren. Entwicklungsdyslexie und -dysgraphie ist ein international gebräuchlicher Begriff. Dyslexie steht für Lesestörung und Dysgraphie bzw. Dysorthographie für eine Rechtschreibstörung.
Der Begriff Legasthenie ist eng verbunden mit der Diskrepanz-Definition aus den 60-70er Jahren. Es wurde getrennt zwischen Schülern mit isolierter Legasthenie (wenn der IQ mindestens größer 85 war und der Rechtschreibtest einen Prozentrang von kleiner als 15 aufwies) und anderen Kindern mit Lese-und Schreibproblemen. Nur die Kinder mit einer "echten" Legasthenie wurden gefördert und erhielten zusätzlich Notenbefreiung. Diese Trennung stellte sich als unsinnig heraus und wurde bald aufgehoben. Dieser vorbelastete Begriff sollte nicht weiter benutzt werden. Er trug wenig zur Entwicklung von Behandlungsansätzen noch zu Ursachenbeschreibung bei und führte eher zur Verunsicherung der Eltern und Lehrer.
Hypothesen zur Verursachung:
Generell ist von einem multifaktoriellen Bedingungsgefüge auszugehen. Die traditionelle Legasthenieforschung geht von einer allgemeinen Entwicklungsstörung der visuellen bzw. der auditiven Wahrnehmung aus sowie der Motorik bzw. der sensorischen Integration. Neuere Untersuchungen nehmen als Ursache Störungen der Sprachentwicklung an. Eine nicht rechtzeitig vor der Einschulung überwundene SES kann auch als nicht hörbare Störung der Entwicklung des phonologischen Systems zu einer Schriftspracherwerbsstörung führen. Forschungsergebnisse der kognitiven Neuropsychologie und der Neurolinguistik zeigen auf, dass die Probleme weniger in der allgemeinen kognitiven Verarbeitung zu suchen sind (z.B. der visuellen Wahrnehmung und Differenzierung) als in der kognitiven Weiterverarbeitung auf sprachlicher Ebene. Die Entwicklungsdyslexie ist als Folge "zentraler sprachabhängiger Verarbeitungsprobleme" (Frank R.Veluntino, 1987) zu sehen, die eine Übertragung der visuellen Information in einen sprachlichen Code erschweren. Warnke (1992) geht von einer möglichen Kombination von Dysfunktionen aus: Störung der räumlichen und /oder zeitlich sequentiellen Reizverarbeitung gestörte verbale Verarbeitungsmechanismen insgesamt verlangsamte Informationsverarbeitung Ellis und Young (1988) und Klicpera et al.(1993) fanden langanhaltende Leistungsschwächen im verbalen Kurzzeitgedächtnis, beim Wortabruf und bei der Phonemanalyse. Weitere Einflussfaktoren sind schulische Lernbedindungen, familiäre Unterstützung sowie individuelle kognitive Lernvoraussetzungen und Lösungsstrategien. Für logopädische Therapie in Frage kommende Kinder zeigen u.a. folgende Auffälligkeiten: im Vorfeld Auffälligkeiten während der Sprachentwicklung auditive Differenzierungsschwäche (Laute können nicht gut unterschieden werden) Defizite in der Lautsynthese (das Zusammenziehen der Laute zu einem Wort gelingt nicht, es wird häufig buchstabiert) Defizite in der Lautsegmentierung (das Unterteilen eines Wortes in Silben und Laute fällt schwer) Verkürztes auditives Kurzeitgedächtnis Verkürztes visuelles Kurzzeitgedächtnis Auditive Durchgliederungsschwäche (z.B. Wörter können nicht aus Sätzen, Laute nicht aus Wörtern "gefiltert" werden) Konzentrationsschwächen. Dies kann z.B. bei der Fehlerüberprüfung zum Problem werden: Obwohl das Kind die richtige Schreibweise kennt, übersieht es beim Überprüfen auf Grund zu geringer Konzentration den Fehler.
Logopädische Behandlung: Eine umfassende Diagnostik. Schon hier muss differenziert werden können, ob es sich um eine LRS im logopädischen Sinne handelt, oder ob andere Verursachungsfaktoren (z.B. psychische Faktoren, Lernbehinderung u.a.) für die Lese-Rechtschreibprobleme verantwortlich sind.
Eine ausführliche Anamnese, in die auch Arzt, Lehrer und ggf. Schulpsychologen einbezogen werden, ist ebenfalls Bestandteil der logopädischen Diagnostik. Die o.g. möglichen Verursachungsfaktoren werden mittels standardisierter Tests und Screenings untersucht. Aus den Testergebnissen werden die Therapieschwerpunkte und -inhalte abgeleitet, zum Beispiel:
Absolvierung eines speziellen Leselehrganges Übungen zur Verlängerung d. auditven und visuellen Merkspanne (jedoch nur bis zu einem best. Alter sinnvoll) Verbesserung der auditven Wahrnemung Verbesserung d. Fähigkeiten zur Sprachdurchgliederung Verbesserung d. Fähigkeiten zur Lautsynthese u. -segmentierung Erarbeitung von Regelwissen (z.B. Groß-, Kleinschreibung) Elternberatung Ein Kind wird nur dann in Behandlung genommen, wenn eine LRS basierend auf einer phonologischen Dysfunktion besteht. Liegt die Störung ausschließlich im visuellen Bereich, so ist eine Überweisung zu einer ergotherapeutischen Praxis sinnvoll, liegt das Problem eher in der unzureichenden Kenntnis von Rechtschreibregeln, kann auch normaler Nachhilfeunterricht helfen.
Die logopädische Behandlung erfolgt in der Regel nach ärztlicher Verordnung (privat und alle Kassen).
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